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Syrer berichtet rund 80 Schülern von seiner Flucht

Espelkamp -

Syrer berichtet rund 80 Schülern von seiner Flucht

Hamed Alhamed bei seinem Vortrag „Syrien, Menschen, Schicksale“ im Söderblom-Gymnasium. (Foto: Janine Küchhold/Kreis Minden-Lübbecke)

„Flüchtling zu sein ist keine freie Entscheidung, man will das nicht sein. Man wird dazu gezwungen.“ Hamed Alhamed ist 28, kommt aus der syrischen Stadt Deir ez-Zor und lebt seit 2015 in Ennigerloh. Über die Balkanroute ist er zusammen mit seinem Bruder Ahmed nach Deutschland geflohen. Seit zwei Jahren reist er durch Deutschland und erzählt von seiner Geschichte. Innerhalb der Aktionswoche „Bunt statt schwarz-weiß“ in Espelkamp hat er auch das Söderblom-Gymnasium besucht. Nach zwei Stunden multimedialem Vortrag blieb bei den Schülerinnen und Schülern zweierlei zurück: Bewunderung für den 28-jährigen, weil er so offen über sein Schicksal berichtete, aber auch Fassungslosigkeit über die Grausamkeiten, die Alhamed genau wie viele Millionen Menschen aus Syrien erleben mussten.

Syrien vor 2011

Dass Alhamed in Deutschland als Mediengestalter arbeitet, war der Präsentation deutlich anzumerken. Viele Bilder, Grafiken und Videos kamen zum Einsatz, die seine Schilderungen verdeutlichten. Gleich zu Beginn seines Vortrages zeigte er ein kurzes Video aus der Zeit vor dem syrischen Bürgerkrieg. Darin zu sehen: seine Freunde, Familie, Menschen aller Altersgruppen feiern gemeinsam, sind ausgelassen und fröhlich. Dies, berichtet Alhamed, sei früher ein typisches Bild in Syrien gewesen. Die Menschen dort seinen gesellig, deshalb ist auch er selbst abends immer lange mit seinen Freunden unterwegs gewesen um sich zu unterhalten, gemeinsam zu Essen, Tee zu trinken oder Schischa zu rauchen. Für die Menschen in Syrien seien immer die Familie und die Freunde und das Zusammensein mit ihnen das Wichtigste gewesen.

Auch sonst zeichnet er ein positives Bild von seinem Herkunftsland: die medizinische Versorgung war gut, es gab freie Bildung für alle, viele Universitäten, eine leistungsfähige Wirtschaft – insgesamt also ein hoch entwickeltes Land. Etwas besonders sei für ihn vor allem das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Religionen gewesen. Christen und Muslime besuchten sich gegenseitig in ihren Moscheen und Kirchen, konnten sogar ganz unkompliziert untereinander Heiraten. Ramadan, das Zuckerfest und Weihnachten wurden zusammen gefeiert. Weihnachten ist in Syrien sogar ein gesetzlicher Feiertag. „Unser Leben war gut. Wir hatten alles was wir brauchten,“ resümiert er über die Zeit vor dem Bürgerkrieg.

Syrien im Bürgerkrieg

„Was wir in Syrien hingegen nicht hatten, war das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demokratie.“ Das sei es gewesen, was auch ihn und seine Freunde, genau wie viele Tausend Menschen zum Demonstrieren gebracht habe. Dass die Regierung das Militär auf sie hetzt, dass bei friedlichen Protesten so viele Menschen getötet und verletzt würden, damit hätten sie nicht gerechnet, sagt Alhamed. „Am Anfang hatten wir Hoffnung. Hoffnung darauf, dass sich für uns etwas verbessert.“ Die Situation eskalierte aber. Das syrische Militär fing an, seine eigene Bevölkerung zu bombardieren. „Nirgends waren wir mehr sicher“, so Alhamed weiter. „Wir waren schockiert über das Ausmaß der Zerstörung und hatten nur noch Angst.“ Aus dem anfänglichen Wunsch nach mehr Demokratie entwickelte sich ein blutiger Konflikt. Mit einer Grafik stellt Alhamed die kriegerischen Auseinandersetzungen dar. Die Grafik ist vor allem eines: unübersichtlich, aber damit trifft er die Lage in Syrien sehr genau. Assads Truppen, die Freie Syrische Armee, IS, Al-Nusra-Front, YPG, weitere rund 1200 militante Gruppen und ausländische Kräfte kämpfen in Syrien um die Vorherrschaft. „Dabei ist ihnen egal, was sie zerstören und wen sie töten.“ Bei seinen Ausführungen über den Bürgerkrieg zeigt er ein Bild. Darauf sind sechs Jugendliche zu sehen, Alhamed ist einer von Ihnen. „Das sind meine besten Freunde. Von den Leuten auf dem Bild bin ich der Einzige, der noch am Leben ist.“

Besonders wütend mache ihn die Zerstörungswut des IS. Kirchen, Moscheen, historische Bauwerke wie die armenische Völkermord-Gedächtniskirche sind dem Islamischen Staat zum Opfer gefallen. „Der IS gehört nicht zum Islam. Das hat nichts mit Religion zu tun, mit keiner Religion.“ Die Hängebrücke über dem Euphrat, für die Deir ez-Zor bekannt war, existiert ebenfalls nicht mehr. Auch sie wurde bei den bewaffneten Auseinandersetzungen zerstört, wie ein Bild, das Alhamed mitgebracht hat, zeigt.

Die Situation in Syrien habe sich für ihn und seine Familie zunehmend verschlechtert „Ich habe meine Freunde verloren, meine Heimat, meine Zukunft. Trotzdem habe ich gelacht, weil ich überlebt habe.“ Und dann, berichtet er weiter, stellen die Menschen fest: wir sterben langsam, weil es keine medizinische Versorgung gibt, kein Wasser, keinen Strom und immer wieder Angriffe. Nie habe er für möglich gehalten, dass so etwas in einem so reichen Land passieren könne. „Wir wollten einfach nur weg, egal wohin.“ In so einer Situation denke man nicht mehr daran, sein letztes Abschlusszeugnis oder seine Papiere mitzunehmen. „Es ging ums blanke Überleben.“

Familien, die das Geld für eine Flucht nicht aufbringen konnten, haben in Syrien bleiben müssen. In seiner Familie hat das Geld für die Flucht, rund 7000 Euro, nur für ihn und seinen Bruder gereicht. „Wir haben gehofft, dass wir unsere Familie irgendwann nachholen können.“ Vor vier Jahren habe er sie das letzte Mal gesehen. Nur per Internet könne der Kontakt noch aufrecht erhalten werden.

In Deutschland angekommen

Seit 2015 lebt Alhamed in Deutschland. Inzwischen macht er eine Ausbildung zum Mediengestalter. Um einen Beruf in Deutschland ausüben zu können, muss er mindestens das Sprachniveau B2 nachweisen können. „Ihr seht, als Flüchtling in Deutschland hat man viel zu tun.“ Die deutsche Kultur, allen voran die Sprache gebe ihm manchmal Rätsel auf. „Im Supermarkt hat mal jemand zu mir gesagt: „Ey Alter, was geht?“ Hab ich nicht verstanden. Ich dachte nur: „ Ist „Alter“ jetzt Akkusativ? Steht auf jeden Fall in keinem Übersetzer.“

Da er vorher in einer Stadt mit rund 300.000 Einwohnern gelebt hat, sei ihm auch die Eingewöhnung in einem Ort mit gerademal 20.000 Einwohnern nicht ganz leicht gefallen. Was es ihm aber leichter mache ist, dass er immer wieder sehr nette und gastfreundliche Menschen treffe. Nach Syrien zurückzukehren sei für ihn keine Option. Inzwischen hat Assad ein neues Gesetz erlassen, mit dem er im Ausland lebende Syrer enteignen kann, sollten sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist zurückkehren. Gleichzeitig aber bedrohe das syrische Militär geflüchtete Syrer. „Wir werden Euch nie verzeihen“, hieße es seitens der Militärführung.

Mit seinen Vorträgen möchte er um Verständnis für die Situation von geflüchteten Syrern werben. Vor allem aber möchte er mit Hilfe seiner Vorträge helfen, „Mauern zwischen geflüchteten Menschen wie ihm und den Einheimischen zu überwinden und Freunde zu finden.“ Bei den Schülerinnen und Schülern des Söderblom-Gymnasiums scheint dies funktioniert zu haben. Viele stellten ihm am Ende seines Vortrags Fragen, wollten ein Foto mit ihm machen oder ihn einfach nur umarmen.

Im nächsten Jahr muss Alhamed seine Aufenthaltserlaubnis verlängern lassen. Was denn geschehe, wenn die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert werde, wollte eine Schülerin bei einer anschließenden Fragerunde von ihm wissen. Alhameds Antwort: „Ich muss zurück nach Syrien.“

Bunt statt schwarz weiß

Der Vortrag ist einer von vielen Programmpunkten innerhalb der Aktionswochen „BUNT STATT SCHWARZ-WEISS“ in Espelkamp. Bei den Aktionswochen haben sich auch in diesem Jahr wieder viele Institutionen und Vereine zusammengetan, um gemeinsam ein Zeichen gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Auch das Projekt NRWeltoffen des Kommunalen Integrationszentrums im Schulamt des Kreises Minden-Lübbecke beteiligt sich daran und hat Hamed Alhamed zu der Aktionswoche eingeladen. Bis zum 23. März werden viele Veranstaltungen angeboten, die Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bieten sollen, sich für mehr Toleranz und Respekt in der Gesellschaft zu engagieren. Auch das Söderblom Gymnasium beteiligt sich als „Schule gegen Rassismus - Schule mit Courage“ an der Aktionswoche. Schulleiterin Marie-Luise Schellong machte in ihrer Begrüßung deutlich, weshalb Veranstaltungen wie der Vortrag Alhameds so wichtig seien. „Als Schule in christlicher Trägerschaft berufen wir uns auf die Bibel. Die Bibel ist ein Buch der Wanderschaft und Bewegung, ein Buch mit vielen Fluchtgeschichten. Umso wichtiger ist es, dass wir uns auch mit den Fluchtgeschichten beschäftigen, die heute, direkt vor unseren Augen geschehen.“

Mehr über ihre Flucht zeigen die Brüder Hamed und Ahmed Alhamed in dem 30-minütigen YouTube-Video „The Long Way to Germany“

Weitere Informationen zu der Aktionswoche: https://bssw-espelkamp.de/

(Text: Kreis Minden-Lübbecke)

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