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Der geduldigste Mensch es am weitesten bringt

Minden -

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Eigentlich hatte Dr. Monika Schulte, Archivarin im Kommunalarchiv Minden, das Einschreibbuch der Mindener Buchbindergesellen nicht auf dem Plan. Aber als eine Meldung der KEK (Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes) aus Berlin kam, dass in diesem Jahr Fördergelder für die Restaurierung von Archiv- und Bibliotheksgut ausgeschrieben werden, dachte sie sofort an diese „Vergessene Kostbarkeit“. Das KEK fördert 2015 bundesweit 39 Modellprojekte zur Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken. Für Minden sind rund 2.500 Euro für die Restaurierung des Einschreibbuches veranschlagt.

Das Mindener Einschreibbuch ist ein ledergebundener Band, in den sich alle auf der Wanderschaft durch Minden ziehenden Buchbindergesellen eingetragen haben. Insgesamt sind 744 Einträge zu finden. Angegeben haben die Gesellen ihren Namen, den Geburtsort, zumeist den letzten Aufenthaltsort, das Datum der Ankunft in Minden oder sogar einen Sinn- und Merkspruch. Die Einschreibung war damals notwendig, um vom Buchbindermeister Geld für die Wanderschaft zu erhalten. Um das Geldgeschenk in Empfang zu nehmen, musste der Erhalt in dem Buch quittiert werden. Den Meistern diente es als Grundlage für die Abrechnung der Kosten, die sie für die wandernden Gesellen ausgelegt haben. Die Einträge stammen aus den Jahren 1752 bis 1828, ein Nachtrag aus dem Jahr 1840 ist auch verzeichnet.
Das Einschreibbuch ist das einzige der Handwerkszünfte in Minden. In anderen Städten gibt es ähnliche Bücher. Mit deren Hilfe ist es für Historiker, möglich Wanderungsbewegungen aufzuzeichnen. Die Handwerksburschen waren abseits der großen Wege unterwegs, reisten zu jeder Jahreszeit durch das Land auf der Suche nach einer Anstellung. Da kam es schon einmal vor, dass man an einem Tag bis zu 30 Kilometer zu Fuß zurückgelegt hat. Dass die Gesellen viel gereist sind, kann man aus dem Einschreibbuch ablesen – einige kamen aus Riga, Kopenhagen, Breslau, Budapest oder Wien.

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Das Besondere des Buches ist eine kolorierte Vignette auf dem Titelblatt. Sie gibt den Blick frei in eine damalige Buchbinderwerkstatt. Zu sehen ist ein Kundengespräch, verschiedene Arbeitstische, Werkzeuge, wie Schere, Messer und Zirkel, und ein Leimtopf, in dem Knochenleim kocht. Die Darstellung ist westfalenweit einmalig.

Bisher hat Dr. Monika Schulte rund 100 Stunden Arbeit in die Sichtung und Übersetzung (Transkription) investiert – die Einträge sind in Latein, Französisch oder Altdeutsch verfasst. Den weiteren Weg wird sie mit begleiten, denn das Buch geht in die Mindener Restaurationswerkstatt „el papel“. So kann jeder Arbeitsschritt besprochen und in kritischen Situationen eine gemeinsame Entscheidung getroffen werden. Dort wird die Funktionalität des Einschreibbuches wieder hergestellt. Dafür gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Beispielsweise wird der Ledereinband abgenommen, die Seiten voneinander gelöst und der Tintenfraß behoben. Dabei ist es wichtig, eine gute Balance zwischen dem Erhalt der historischen Substanz und neu eingesetzten Stücken zu schaffen. „Es kann sein, dass wir beim Abnehmen des Einbands auch unerwartete Papierstücke finden. Früher wurden die Buchdeckel aus aufeinander geklebten Papierresten hergestellt. Ein Zufallsfund ist dabei nicht ausgeschlossen“, beschreibt Monika Schulte.

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In Zusammenarbeit mit dem Mindener Geschichtsverein wird am 8. Dezember, um 19.30 Uhr, eine Abschlussveranstaltung im Kommunalarchiv stattfinden. Das frisch restaurierte Einschreibbuch wird in einer Vitrine zu sehen sein. Eine Ausstellung, die die Arbeit der Restauratorin dokumentiert, kann besichtigt werden. Außerdem wird Dr. Anke Hufschmidt, Historikerin, stellvertretende Leiterin des LWL-Freilichtmuseums Hagen, einen Vortrag zum Thema „Das Wandern ist des Müllers Lust? Handwerk und Mobilität von der Mitte des 18. bis in das frühe 19. Jahrhundert nach dem Einschreibbuch der Mindener Buchbindergesellen“ halten.

(Text und Fotos: ©Pressestelle Stadt Minden)

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