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Dreifache Mutter leidet an seltener Tumorerkrankung

Minden -

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Sandra Nahrwold (Mitte) gemeinsam mit ihren behandelnden Ärzten Priv.-Doz. Dr. Nehara Begum und Professor Dr. Berthold Gerdes. Dr. Nehara Begum ist Spezialistin für die seltene Tumorerkrankung – hat gemeinsam mit dem Klinikdirektor der Allgemeinchirurgie, Professor Dr. Berthold Gerdes, das Zentrum für Neuroendokrine Tumoren am Universitätsklinikum Minden gegründet. 
Foto: Irma Mujanovic/MKK

Nach allem, was sie erlebt hat, empfindet Sandra Nahrwold eine tiefe Dankbarkeit für das Leben. Für ihr Leben. Die dreifache Mutter hat eine medizinische Odyssee hinter sich: Jahrelang kämpft sie mit Entzündungen an der Bauchspeicheldrüse, leidet unter starken Schmerzen und ist in ihrem Alltag eingeschränkt. Die Ursache? Unklar. Erst 2023, nach mehr als vier Jahren voller Leid und Schmerzen, erhält die Petershägerin eine Diagnose, die ihr den „Boden unter den Füßen wegreißt“, wie sie erzählt. Bauchspeicheldrüsenkrebs. „Wenn man das hört, geht man vom Schlimmsten aus, ich hatte solch eine Angst“, erzählt Sandra Nahrwold. 

Zwei Jahre ist es jetzt her, dass die 56-Jährige die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erhalten hat. „Ich weiß noch genau, wie am 18. April 2023 der Anruf aus dem Universitätsklinikum Minden kam. Diese Nachricht war ein absoluter Schock, es war ein reines Gefühlschaos“, erinnert sich Sandra Nahrwold. Doch die Ärztinnen und Ärzte des Universitätsklinikums Minden machen der dreifachen Mutter Hoffnung, es handelt sich um eine langsam wachsende Krebsform – einen neuroendokrinen Tumor.
„Die Diagnose eines neuroendokrinen Tumors ist für viele Patientinnen und Patienten ein Schock, aber sie bringt auch Chancen mit sich. Diese Tumoren wachsen häufig langsam und lassen sich gut behandeln, wenn sie rechtzeitig erkannt werden“, erklärt 
Priv.-Doz. Dr. Nehara Begum, Oberärztin und Sektionsleiterin des Zentrums für Neuroendokrine Tumoren in der Klinik für Allgemeinchirurgie, Viszeral-, Thorax- und Endokrine Chirurgie am Universitätsklinikum Minden. Doch die neuroendokrinen Tumoren sind „Meister der Tarnung“ – denn sie sind selten, ihre Symptome sind oft unspezifisch und sie können lange Zeit unbemerkt bleiben, bis sie bereits fortgeschritten sind. Und auch die Behandlung erfordert viel Erfahrung und Wissen – denn neuroendokrine Tumoren lassen sich oft nicht mit herkömmlichen Therapien behandeln.

Dr. Nehara Begum ist Spezialistin für die seltene Tumorerkrankung – hat gemeinsam mit dem Klinikdirektor der Allgemeinchirurgie, Professor Dr. Berthold Gerdes, das Zentrum für Neuroendokrine Tumoren am Universitätsklinikum Minden gegründet. Das Zentrum wurde im Frühjahr von der international führenden Fachgesellschaft „European Neuroendocrine Tumor Society“ (ENETS) als spezialisiertes Behandlungszentrum zertifiziert. Als überregionale Anlaufstelle ermöglicht es die optimale Versorgung von Patientinnen und Patienten, die wie Sandra Nahrwold an dieser seltenen Krebserkrankung leiden.

Deutschlandweit gibt es derzeit 15 solcher Behandlungszentren, wie beispielsweise die Charité und einzelne andere Universitätskliniken, die von der ENETS als Europäisches Exzellenzzentrum ausgezeichnet worden sind. „Wir freuen uns, dass wir von ENETS die Bestätigung erhalten haben, dass wir in unserem Tumorzentrum unsere Patienten in Minden auf einem sehr guten Niveau behandeln“ so Klinikdirektor Professor Dr. Berthold Gerdes. Im Zentrum für Neuroendokrine Tumoren arbeiten alle an Diagnostik und Therapie beteiligten Spezialistinnen und Spezialisten der verschiedenen Fachbereiche wie zum Beispiel der Endokrinologie, Chirurgie, Gastroenterologie, Nuklearmedizin, Onkologie, Radiologie und Pathologie eng zusammen. „Wir erstellen gemeinsam für jeden Patienten einen individuellen Therapieplan“, erläutert Priv.-Doz. Dr. Nehara Begum.

Neuroendokrine Tumoren sind selten: Ungefähr zwei bis vier von 100.000 Menschen in Deutschland erkranken an neuroendokrinen Tumoren, typischerweise im Alter von über 50 Jahren. Derzeit ist noch weitgehend unbekannt, wodurch ein neuroendokriner Tumor entsteht. In manchen Fällen sind neuroendokrine Tumoren auf genetische Veränderungen zurückzuführen. Das ist oft der Fall, wenn die Tumoren bereits in jüngerem Alter in verschiedenen Organen auftreten. Man spricht dann von einem multiplen endokrinen Neoplasie Syndrom (MEN 1 Syndrom).

„Neuroendokrine Tumoren (NET) können in nahezu allen Organen auftreten – besonders häufig jedoch im Magen-Darm-Trakt, der Bauchspeicheldrüse oder der Lunge. Sie entwickeln sich dort aus Zellen, die Hormone produzieren“, erklärt Spezialistin und Zentrumsleiterin Priv.-Doz. Dr. Nehara Begum. 
Die größte Herausforderung: Die meisten neuroendokrinen Tumoren wachsen langsam, daher bleiben sie oft auch unentdeckt, „auch im Fall von Frau Nahrwold können wir davon ausgehen, dass die Tumorzellen wahrscheinlich schon länger im Körper unbemerkt existiert haben“, so die Mindener Chirurgin.

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Einblick in die Arbeit des spezialisierten Tumorboards für die Neuroendokrinen Tumoren. Jeden Dienstag treffen sich die Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen Fachdisziplinen – wie Strahlentherapie, Onkologie, Endokrinologie, Gastroenterologie, Chirurgie, Radiologie und Nuklearmedizin – und legen ein individuelles Therapiekonzept für jede Patientin und jeden Patienten fest. Foto: Sven Olaf Stange/MKK

Nach der Diagnose im Frühjahr 2023 erhält Sandra Nahrwold zunächst eine spezielle Chemotherapie, die die hormonproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstören soll. Die Therapie schlägt allerdings nicht an. Es folgt eine Operation, während des Eingriffs entfernen die Mindener Chirurginnen und Chirurgen den Ursprungstumor im Kopf der Bauchspeicheldrüse und alle sichtbaren Lebermetastasen. Die Zeit nach der OP beschreibt die heute 56-Jährige als härteste Zeit ihres Lebens. „Ich habe sehr viel Gewicht verloren, war schwach und gebrechlich, konnte nur mit einem Rollator laufen. Das war sehr hart, ich musste mich ins Leben zurückkämpfen“, erzählt Sandra Nahrwold. Nach drei Monaten wird es langsam Stück für Stück besser.

Doch kurze Zeit später entdecken die Ärztinnen und Ärzte im Uni-Klinikum Minden während einer speziellen PET-CT-Untersuchung erneut kleine Tumorherde im Körper der Patientin aus Petershagen. „Im normalen CT waren diese Tumore noch gar nicht sichtbar. Deswegen sind wir sehr froh, dass wir hier in Minden diese besondere nuklearmedizinische Diagnostik anbieten können“, erklärt die behandelnde Ärztin Dr. Nehara Begum. Und führt weiter aus: „Wir haben bei unserer Patientin eine mildere Hormontherapie angewandt, auch weil der Tumor in der endgültigen feingeweblichen Aufarbeitung ein etwas anderes Charakteristikum aufwies, was das Nichtansprechen auf die Chemotherapie erklärt. Die exakte und korrekte Klassifizierung durch den auf Neuroendokrine Tumoren spezialisierten Pathologen ist zentral für die Therapieentscheidung bei diesem seltenen Tumor.“

Ein Jahr lang erhält Sandra Nahrwold monatlich eine Spritze – die das Wachstum des Tumors aufhalten soll. Und das tut sie auch. Doch die gelernte Industriekauffrau will den Krebs ganz aus dem Körper haben, „das gehört nicht zu mir, der Krebs soll weg“. Gemeinsam mit ihren behandelnden Ärzten entscheidet sie sich für eine erneute Operation, in der die Tumorherde von der Leber entfernt werden. Sandra Nahrwold ist jetzt tumorfrei – ein echter Meilenstein für die Mutter und Ehefrau. „Der Krebs macht mich klein, aber nicht kaputt. Ich weiß nicht, ob und wann er wiederkommt, aber ich stelle mich, wenn es sein muss, wieder diesem Kampf“, sagt Sandra Nahrwold entschlossen. Sie sei eine Optimistin – durch und durch. Die größte Stütze in all der Zeit ist ihre Familie – ihr Mann und ihre drei Kinder. Die um sie gebangt, für sie gehofft haben, „sie haben mir unglaublich viel Halt und Kraft geschenkt“. 
Die Schmerzen, Operationen, Therapien – all das hat seine Spuren hinterlassen. Körperlich und seelisch. Sandra Nahrwold konnte irgendwann nicht mehr arbeiten, wurde verrentet. Die seelischen Schmerzen hat sie behandeln lassen – „ich kann nur jedem ans Herz legen, sich psychologische Unterstützung zu suchen“. 

Sandra Nahrwold möchte anderen Betroffenen Mut machen – trotz der Diagnose und trotz der vielen Behandlungen sei ein erfülltes Leben möglich. Manchmal fühlt sich der Rucksack, mit dem sie durchs Leben geht, ganz leicht an – und manchmal fühlt er sich ganz schwer an. „Aber das ist mein Leben und ich liebe es. Ich habe noch ganz viel vor, möchte gemeinsam mit meinem Mann verreisen und neue Orte entdecken“, sagt Sandra Nahrwold mit Tränen in den Augen. 

Quelle: Mühlenkreiskliniken AöR


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